Kurzfassung erscheint in Systhema 13(2), 1999


 Hansruedi Ambühl & Bernhard Strauß [Hg.] 1999:Therapieziele.
 Göttingen: Hogrefe, 336 S.

Das Auseinandersetzen mit Zielen in Therapien, ihr inhaltliches Ausfüllen und das Orientieren daran im Hinblick auf den Erfolg des Bemühens ist eines der Qualitätsmerkmale seriöser Angebote. Umso erfreulicher ist es, wenn mit dem vorliegenden Buch jetzt eine Möglichkeit geschaffen wurde, dieses Thema im Vergleich unterschiedlicher therapeutischer Orientierungen zu reflektieren. Zusätzlich wird der Umgang mit Zielen in Therapien aus einer Reihe von grundsätzlichen Blickwinkeln betrachtet.

Bei den grundsätzlichen Betrachtungen (Informed Consent; Individualisierung von Therapiezielen, Zeitpunkt der Zielbestimmung, u.a.) fand ich besonders die Diskussion über "Ethische Aspekte bei der Setzung von Therapiezielen" hilfreich und informativ (Kottje-Birnbacher & Birnbacher). Die AutorInnen machen klar: "Was man von der Ethik erwarten kann, sind keine verläßlichen Orientierungen im Sinne "ewiger Werte" oder eines unumstößlichen Kanons ethischer Prinzipien, sondern etwas viel Bescheideneres: Die Klärung von Problemlagen und möglichen Problemlösungen im Hinblick auf die in ihnen enthaltenen Norm- und Wertgehalte, die Verbesserung des Verständnisses und Selbstverständnisses hinsichtlich der an Entscheidungen, Zielbestimmungen und Konfliktlösungen beteiligten Normen und Werte und die Bereitstellung der begrifflichen, argumentativen und methodischen Grundlagen für eine offene und rationale Wertdiskussion" (16) In diesem Kapitel kommt auch die entscheidende Frage explizit zur Geltung: "Wer setzt die Ziele?". Die AutorInnen gelangen von den antithetischen Positionen "Dienstleistungsmodell" und "paternalistisches Modell" zu der Synthese "Verhandlungsmodell".

Aufschlußreich auch F. Caspars Überlegungen hinsichtlich Therapiezielen zu Anfang von Psychotherapien (S.55-73). Caspar bezieht sich dabei wesentlich auf Modelle der dynamischen Selbstorganisation, "nach denen es ausreicht, wenn Ziele motivieren, sich auf den Weg zu begeben, ohne daß aber das Ziel der Entwicklung vordefiniert sein muß. Insofern als sich das Gesamtsystem eines Patienten im Laufe einer Therapie ändert, würde man sogar sagen: Zu Beginn einer Therapie kann er gar nicht wirklich festlegen, was gegen Ende der Therapie als wünschenswerter Zustand erscheinen wird. Auch solche Modelle würden allerdings nahelegen, daß ein Bemühen um eine möglichst weit tragende Zieldefinition helfen kann, sich in die richtige Richtung auf den Weg zu machen." (57)

Im Blick auf kollaborativ ausgerichtete Konzeptualisierungen von Psychotherapie dürfte auch folgende Aussage von besonderem Interesse sein: "Es geht vor allem um die Illusion des Patienten, er stimme mit seinem Therapeuten in Hinblick auf die Therapieziele genau überein. Viele Ergebnisse der Therapieforschung weisen darauf hin, daß die initiale Besserung mit dem Schöpfen von // Hoffnung und dem Gefühl des Gut-aufgehoben-Seins zusammenhängen. Wenn man aber akzeptiert, daß Therapeut und Patient nie wirklich 100%ig übereinstimmen, kommt man unweigerlich zu dem Schluß, es komme vor allem auf die subjektive Wahrnehmung des Patienten an." (57f.)

Den Blick über den eigenen Tellerrand halten die Kapitel über die Bedeutung von Therapiezielen in unterschiedlichen Therapieschulen wach. Zur Sprache kommen: Psychoanalyse, GT, kognitive VT, Familientherapie, Hypnotherapie, Integrative Therapie, Tanztherapie und Systemische Therapie. Die Beiträge geben einen gerafften Überblick über Entwicklungslinien und Prämissen des Verfahrens, den typischen Umgang mit Zielen, deren Operationalisierung und (In-)Stabilität. Deutlich wird der zwischenzeitlich hervorgehobene Stellenwert informierter Zustimmung, einer der roten Fäden dieses Buches.

Die Beiträge zu Familientherapie (Cierpka, Zander & Wieland-Grefe), sowie zu Systemischer Therapie (Ludewig) machen zum einen die gemeinsamen Wurzeln deutlich, vermitteln dann jedoch plastisch, wie sich daraus unterschiedliche Ansätze entwickelt haben. Der Beitrag zur Familientherapie zeichnet sich im Rahmen dieses Buches durch die am ausführlichsten skizzierte Illustration aus der Praxis aus.

Der Beitrag zur Systemischen Therapie bietet ein Kompendium des erreichten Standes der Kunst. Ich kann diesen Beitrag nur dringend zur Lektüre empfehlen, gerade weil er anspruchsvoll geschrieben ist und sich leichtfertiger Assimilation entzieht. Zu Zielen aus systemischer Sicht schreibt Ludewig: "Ziel des Therapeuten ist es, ein für die Veränderung des Hilfesuchenden (oder der Situation) günstiges soziales Milieu zu schaffen, in dem der "Kunde" sich nach Maßgabe seiner Wünsche und Möglichkeiten verändern kann." (261) und: "Systemische Therapie beschränkt sich bewußt darauf, Bedingungen im therapeutischen System zu erkunden und zu realisieren, die geeignet sind, um es dem Hilfesuchenden zu erleichtern, sich zu verändern. Systemische Therapie versteht sich ausdrücklich als wissenschaftlich fundierte Form der Hilfe-zur-Selbsthilfe" (262)

Zu einem Kernstück systemischer Therapie gerät das Unterscheiden zwischen Anlässen und Anliegen und dem sich darauf gründenden gemeinsam erarbeiteten Auftrag. Aus den Prämissen des "Systemischen" ergibt sich dabei: "Therapie vollbringt insofern eine prinzipielle Umdeutung bzw. Rekontextualisierung, die zur Folge hat, daß nicht das präsentierte Problem "gelöst" oder "geheilt" wird, sondern daß eine mehr oder minder diffuse, leidvolle Problembeschreibung in einen Kontext gesetzt wird, der eine rasche Umorientierung in Richtung auf Alternativen ermöglichen soll." (263)

Mein Gesamteindruck: ein nützliches, informatives und anregendes Buch, das der Verständigung über die Grenzen von Therapieschulen hinweg dient. Gerade im Kontext der PTG-Verwirrungen erweist es sich als eine sinnvolle und geradezu furchtlose Orientierungshilfe.

Wolfgang Loth (Bergisch Gladbach)

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