Wilhelm Rotthaus & Hilde Trappmann 2004. Auffälliges Verhalten
im Jugend-alter. Handbuch für Eltern und Erzieher, Bd. 2.
Dortmund: verlag modernes lernen, 358 S.
Um mit dem Fazit zu beginnen: die beiden AutorInnen haben mit diesem Handbuch ein sehr brauchbares - informatives und lesbares - Vademecum für einen Arbeitsalltag zur Verfügung gestellt, in dem Sorgen um Jugendliche und Probleme im Umgang mit ihnen den Anlass zum Aufsuchen von Hilfe darstellen. Als eigentliche Zielgruppen sind Eltern und Erzieher genannt, und die Sprache des Buches dient diesem Zweck in vollem Umfang. Rotthaus und Trappmann haben die irritierende Vielfalt an möglichen Problemthemen in 25 Kapitel gebündelt, die einen nachvollziehbaren Überblick erlauben. Hier kommen sowohl Themen zur Sprache, die diagnostisch "schon immer" bewegten als auch Herausforderungen aus neuerer Zeit (Bsp. Internetsucht, Rechtsextremismus, Elternmisshandlung). Für besorgte Eltern und andere Erziehende ist es vermutlich hilfreich, dass sich die beiden AutorInnen einer ebenso unaufgeregten, wie doch auch klaren Sprache bedienen, die Orientierung ermöglicht und gegebenenfalls zum Aufsuchen fachlicher Hilfen ermutigt.
Auch für professionelle HelferInnen im Bereich der Jugend- und Familienhilfe bietet der vorliegende Band viele Anregungen. Zum einen gibt es wohl wenige Veröffentlichungen, die dermaßen gekonnt den aktuellen Informationsstand zu den wesentlichen Anlässen für das Aufsuchen professioneller Hilfen zusammenfassen. Zum anderen halte ich es für besonders verdienstvoll, dass die beiden AutorInnen konsequent eine probabilistische Perspektive einnehmen. Souverän entgehen sie den Fallstricken eines trivialisierenden Verständnisses von "Störungen an sich". Stattdessen ermutigen die einzelnen Kapitel zu einem individuellen Fallverstehen. Dazu gehört sowohl das Unterscheiden von Ursachen und Bedingungen, als auch die Wechselwirkung von bedingenden Einflüssen. Menschen und ihre Lebenssituationen werden als komplexe Systeme gewürdigt, die nicht einseitig repariert oder gesteuert werden können. Der hier vorgestellte Ansatz ermutigt stattdessen dazu, den Blick vom Einwirken aufs Mitwirken zu weiten. Die Aufmerksamkeit gilt nicht nur Risikofaktoren, sondern auch Schutzfaktoren. Problemverhalten kann auch in Begriffen versuchten Lösungsverhaltens verstanden werden. Dies gelingt jedoch nur dann, wenn "Verhaltenssauffälligkeiten" nicht als Anweisungen zu festgeschriebenen und festschreibenden Reaktionen genommen werden, sondern als Aufforderung, die eigene Wahrnehmung und Bewertung des Auffallenden zu überprüfen, sich über das Zuordnen des Wahrgenommenen und Bewerten klar zu werden und sich um ein individuell ausgerichtetes Verstehen zu bemühen. Auf dieser Basis wiederum kann gefragt werden, wie zu Lösungen angeregt und deren Verwirklichung gefördert werden kann. Genau diesem Schema folgen die einzelnen Kapitel dieses Buches. Den AutorInnen gelingt damit eine für meine Begriffe beispielhafte Integration einer respektvollen Haltung und eines umfassenden inhaltlichen Wissens. Ein guter Ausgangspunkt für den Weg zu einem störungsspezifischen Ressourcenwissen.
Wolfgang Loth (kopiloth@t-online.de)
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