Wolfgang Loth
Spätestens seit einem Beitrag von Schiepek et al. (1997) in
der
Zeitschrift für Klinische Psychologie gab es Kunde von
der Entwicklung eines Inventars, mit dem es möglich sei, lösungs-
und ressourcenorientiertes TherapeutInnen-Verhalten gezielt zu erfassen
und sowohl für Forschungs- wie für Ausbildungszwecke nutzbar
zu machen. Dieses Inventar liegt nun vor:
Hermann Honermann, Peter Müssen, Andrea
Brinkmann & Günter Schiepek 1999:
Ratinginventar Lösungsorientierter
Interventionen (RLI). Ein bildgebendes Verfahren zur Darstellung ressourcen-
und lösungsorientierten Therapeutenverhaltens. Göttingen: Vandenhoeck
& Ruprecht, 109 S.
(+ 1 Schablone), DM 68,-
Annäherung
Drei Möglichkeiten stehen wohl im Wesentlichen zur Verfügung,
interessierten Personen zu verdeutlichen, was unter einem bestimmten Therapieverfahren
zu verstehen sei: zum einen das möglichst prägnante Beschreiben
von Prämissen, Schwerpunkten und Vorgehensweisen bei diesem Verfahren,
zum anderen das (beobachtende) Teilnehmen und schließlich das komplexitätsreduzierende
Übersetzen der entsprechenden Ereignisse in Tabellen und Grafiken.
Die beiden erstgenannten Möglichkeiten setzen längeren Atem voraus,
Frustrationstoleranz und eine gewisse Bereitschaft, sich als "unterwegs"
zu erleben. Die Möglichkeit der bildgebenden Darstellung scheint zunächst
ein schnelleres Verstehen zu begünstigen, profitiert von der überwiegend
visuellen Dominanz in unserer Zivilisation und ermöglicht das unter
Umständen beruhigende Gefühl, etwas abgebildet zu haben, was
schon existiert, verweist also auf sogenannte Ergebnisse. Forderungen nach
Transparenz, Wissenschaftlichkeit und Qualitätssicherung an therapeutische
und beraterische Angebote scheinen durch diese Art Ergebnisdarstellung
besser bedient werden zu können. Erste Stolperstellen ergeben sich,
wenn therapeutische und beraterische Prozesse als nicht-trivial angenommen
werden, als komplex-nichtlinear und nicht einseitig steuerbar. Ich möchte
diese vorsichtigen Überlegungen an den Anfang setzen, bevor ich beginne,
das von Honermann et al. vorgelegte "Ratinginventar Lösungsorientierter
Interventionen (RLI)" vorzustellen und letztlich als sehr anregend und
wohl auch hilfreich einzuschätzen.
Zunächst eine Entwarnung:
Aus den zahlreichen bisherigen Veröffentlichungen Günter
Schiepeks läßt sich zuverlässig schließen, daß
das vorgelegte Instrumentarium zu etwas anderem gut sein soll als dazu,
professionelles psychosoziales Helfen zu normieren und ohne Bezug auf Kontexte
als bestimmte Abläufe vorzuschreiben. Beispielsweise steht er im Hinblick
auf das Thema Qualitätssicherung für Sätze wie: "Die Zugehörigkeit
zu einem bestimmten Club garantiert für gar nichts. Denn: Qualität
ist ein Systemprodukt, es entsteht aus dem Zusammenwirken verschiedenster
Bedingungen und ist weder raum-zeitlich noch über andere Kontexte
hinweg transferierbar. Qualität ist ein nicht übertragbares,
vergängliches Gut. Es ist insofern 'autopoietisch', als es immer wieder
reproduziert werden muß, um nicht zu ersterben. Es ist insofern 'dissipativ',
als man immer wieder von neuem Energie investieren muß, um das Emergenzprodukt
"Qualität" in der Entwicklung zu halten." (Schiepek & Bauer, 1999,
S.20). Dazu paßt die Position, "daß allein die Erhebung von
Daten noch keine Aussagen über Entwicklung und Sicherung von Qualität
zuläßt" (ebd. S.19). Und so heißt es denn bereits im Vorwort
des hier vorgestellten Inventars: "Psychotherapie ist ein dynamischer Prozeß,
in dem kognitive wie affektive, individuelle wie interaktionelle Muster
aktiviert, hergestellt und verändert werden. Diese filigranen Abstimmungs-
und (Selbst-)Organisationsprozesse gingen verloren, würde man versuchen,
das Therapeutenverhalten zu normieren und vorab (d.h. prozeßunabhängig)
zu strukturieren." (S.7). Folgerichtig heißt es in der Anleitung
für RaterInnen: "Der Beobachtungsbogen stellt ein deskriptives Instrument
dar und ist nicht als Bewertung einer therapeutischen Sitzung zu
verstehen." (S.20).
Auch wenn sich die AutorInnen explizit auf die von de Shazer und MitarbeiterInnen entwickelten Begrifflichkeiten und "Musterveräufe" beziehen, geht es erkennbar nicht darum, das Aufmerksamsein für Lösungsmöglichkeiten und Ressourcen ausschließlich für ein bestimmtes Modell zu reklamieren. Lösungsorientierte Kurztherapie verkörpert diese Prämissen bislang zwar in ihrer konsequentesten Form. In Abwandlungen und kleineren Dosierungen finden sich diese Bestandteile jedoch vermutlich in allen Angeboten, die sich als hilfreich bewähren. Das RLI fokussiert somit auf das Aufspüren derjenigen Verhaltensweisen von TherapeutInnen und BeraterInnen, die mit dem Erschließen von Lösungen und Ressourcen in Verbindung stehen. Zu diesem Zweck haben die AutorInnen auf der Grundlage von Expertenbefragungen und eigenen Erfahrungen und Überlegungen eine Liste von 23 Items erarbeitet, die sie faktorenanalytisch sieben Faktoren zugeordnet haben (vgl. Tabelle 1).
Tabelle 1: Kategorien des Ratinginventars Lösungsorientierter Interventionen (RLI)
Faktor | Heuristik (Kurzform) | Items ( TherapeutIn.... ) |
|
KlientInnen anregen, Problem zu fokussieren (Problemanalyse/ Defizitorientierung) |
|
|
KlientInnen anregen, eigene Ziele
zu konstruieren
(Zielaktualisierung) |
|
|
KlientInnen behilflich sein, durch
neue Handlungsweisen kleine, aber relevante Veränderungen herbeizuführen
(Konkretisierung von Lösungen) |
|
|
Sich durch respektvolles Interesse
um eine kooperativ-offene TherapeutInnen-KlientInnen-Beziehung bemühen,
die Veränderung ermöglicht
(Beziehungsgestaltung/ Kooperation/ Respekt) |
|
|
KlientInnen helfen, sich eigener
Fähigkeiten, Stärken und Ressourcen bewußt zu werden
(Ressourcenorientierung/ Kompetenzentwicklung) |
|
|
Sich um Destabilisierung von Mustern/
Schemata bei KlientInnen bemühen
(Alternatives Denken/ Musterunterbrechung/ Destabilisierung) |
|
|
KlientInnen dabei helfen, Problem
zu lösen, indem er/sie Problem in einem anderen Kontext sieht und
so neue Bedeutungen konstruieren kann, die zur Entwicklung neuer Muster
führen
(Reframing) |
|
Entnommen aus und zusammengestellt nach: Honermann et. al. (1999), S. 62-67
Zum Verfahren:
Das RLI "stellt ein Verfahren zur Verfügung, mit dessen Hilfe
Videoaufzeichnungen von Therapiesitzungen im Hinblick auf ihre Lösungs-
und Ressourcenorientierung sowie andere therapeutische Heuristiken detailliert
analysiert werden können." (S.9). Zu diesem Zweck enthält das
Inventar eine Schablone, mit deren Hilfe für jede ausgewertete Minute
die 23 Items in ihrer Ausprägung eingeschätzt werden können
(von 0 = "gar nicht wahrgenommen" bis 4 = "außerordentlich wahrgenommen").
Die AutorInnen geben als "benötigte Zeit zum Kodieren eines einminütigen
Ausschnitts nach allen 23 Items: durchschnittlich: 85,7 Sek" an. "Die Durchführungszeit
für das Rating eines 60minütigen Therapievideos beträgt
demnach drei Stunden inklusive Pausen und der Betrachtung des Videobandes"
(S. 83).
Die AutorInnen gehen aufgrund dieser Erfahrungen davon aus, das RLI als ein "sehr ökonomisches" Verfahren einschätzen zu können. Ich würde gerne unterscheiden: nicht im Einsatz als mitlaufendes Arbeitsmittel im Alltag einer üblichen Praxis. Als Forschungsinstrument und Hilfsmittel zur Supervision, Fort- und Weiterbildung dürfte es dagegen gut geeignet sein und anregende Reflexionen ermöglichen.
Die einzelnen Items des RLI werden sehr ausführlich vermittelt, sowohl hinsichtlich ihrer theoretischen Begründung und allgemeinen Beschreibung, wie auch hinsichtlich Beispielen mit Ratingvorschlägen. Die testtheoretische Diskussion ist ausführlich und sorgfältig, kann jedoch aus der Sicht der Praxis als der notwendige Tribut an Erfordernisse der wissenschaftlichen Konvention im Wesentlichen überlesen werden (wobei dann jedoch durchaus interessante Details und Fragen außen vor blieben, wie ich noch zeigen möchte).
Zur Überprüfung der Reliabilität und Validität des Verfahrens wurden Videobänder mit Therapiesitzungen aus unterschiedlichen Verfahren ausgewertet: Erstsitzung einer lösungsorientierten "Mustertherapie", Erstsitzung einer systemischen Therapie, Erstsitzung einer systemisch-lösungsorientierten Therapie, 153. Stunde einer psychoanalytischen Lehranalyse, Erstsitzung einer lösungsorientierten Kurzeittherapie, Folgesitzung eines verhaltenstherapeutischen Selbstbehauptungstrainings, Zweitsitzung einer klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie. Die Daten wurden grafisch aufbereitet, so daß die einzelnen Stundenverläufe als eine Art charakteristische "Gebirgslandschaften" erscheinen. Das wirkt auf den ersten Blick nicht ganz so komplexitätsreduziert wie oben angedeutet, erlaubt jedoch nach etwas Eingewöhnung interessante Eindrücke. Da erschließt sich auf einen Blick, wie etwa eine lehranalytische Sitzung durchgängig auf Problemanalyse und Beziehungsgestaltung fokussiert, während die lösungsorientierte Musterstunde den typischen Verlauf wiedergibt: kurzes joining via Abholen beim Problem, Wunderfrage, Zielkonstruktion und Ressourcenfokussierung. Demgegenüber erscheinen in der als Referenz ausgewählten lösungsorientiert-systemischen Stunde durchaus starke Akzente in Richtung expertenhafter Anregungen, noch deutlicher ausgeprägt beim verhaltenstherapeutischen Training.
Diskussion
Diese Art der Reflexion unterschiedlicher Therapieansätze dürfte
in Zukunft noch weiterführende Fragen aufwerfen, insbesondere dann,
wenn es mehr Auswertungen von Therapieverläufen unter Alltagsbedingungen
gibt. Inwieweit Musterverläufe sich in der üblichen Unordnung
des (Alltags-/ Arbeits-)Lebens als Referenzgrößen bewähren,
dürfte zumindest in Frage gestellt werden. Möglicherweise haben
die AutorInnen hier zu sehr auf den Faktor "Kurzzeit" gesetzt, und weniger
auf den Faktor "Ressourcen". Fünf der acht ausgewerteten Videoaufzeichnungen
enthielten Erstsitzungen und bei der Auswertung der Erstsitzung zu Lösungsorientierter
Kurztherapie heißt es, die Abbildung "gibt den Therapieverlauf
einer
typischen Kurzzeittherapie wieder" (S.76, Hervorhebung W.L.). Es führt
m.E. jedoch weg von den Prämissen des Verfahrens, wenn das Ergebnis
"Lösung in kurzer Zeit" in den Vordergrund gerückt wird auf Kosten
des Standards, unverdrossen und kooperativ auf Ressourcen zu fokussieren,
und auf diese Weise das Entstehen von Lösungen gezielt zu fördern.
Es erscheint mir notwendig, sich über den Bedeutungsrahmen der im Titel enthaltenen "Interventionen" klar zu werden. Erklärtes Ziel des RLI ist es "lösungsorientierte Interventionen" zu erfassen. Dies könnte auch so verstanden werden, als lasse sich Therapie, hier: Lösungsorientierte Therapie ausschließlich über Therapeutenverhalten definieren, verkörpert im korrekten Abspulen einer definierten Technik. Ferdinand Wolf (1999) beschreibt dieses Spannungsfeld im Verstehen Lösungsorientierter Kurztherapie detailliert, wenn er "Interventionen zwischen methodischer Technik und relativistischer, emotionaler Authentizität" diskutiert (S.19). Als Ergebnis seiner bisherigen Erfahrungen setzt er schließlich auf den "Eindruck eines von Empathie und genauer Beobachtung im Sinne von außerordentlicher Klientenorientierung und -fokussierung getragenen Prozesses" (S.22), ein Eindruck, den auch Kaimer (1998) überzeugend beschreibt.
Bereits auf TherapeutInnenseite wären demnach wesentlich weitergehende Einflußgrößen zu berücksichtigen als das handwerkliche Beherrschen von Interventionen: die Haltung von TherapeutInnen/ BeraterInnen erweist sich als eine dominierende Variable (vgl. Hargens 1995, 1998). Worauf beziehen sich TherapeutInnen, wenn sie lösungsorientiert intervenieren? Auf Vorgaben eines Manuals? Auf Vorgaben einer Schulmeinung? Auf ihren Ehrgeiz, es richtig machen zu wollen? Auf ihre Sorge, es falsch machen zu können? Auf das, was die KlientInnen sagen? Nehmen wir folgendes: "Therapie als gut durchzuführenden Job zu begreifen, bedeutet für lösungsorientierte Therapeuten, die ethische Verantwortung, wirkungsvolle und befriedigende Hilfsmaßnahmen für Klienten zu entwickeln", sagen Miller & de Shazer (1999, S.21). Also wirksame Maßnahmen (Interventionen) als explizite Therapeutenleistung? Wie steht es dann aber damit: "Da die Therapie eine Therapie der Klienten ist, bestimmt der Klient durch die Wahl der Ziele, wie Erfolg und Mißerfolg zu messen sind; die Vielzahl der Optionsmöglichkeiten des Klienten steht dabei über allem, da sich dadurch die Erfolgschancen zu vergrößern scheinen", ebenfalls Miller & De Shazer (1999, S.24). Undsoweiter. Es gibt offensichtlich kein Entrinnen aus dem von Ludewig (1988, 1992) so treffend beschriebenen Therapeutendilemma: "Handle wirksam, ohne im voraus wissen zu können, was Deine Handlungen bewirken". So verstanden, erweisen sich "lösungsorientierte Interventionen" als (hoffentlich) hilfreiche Bestandteile lösungsorientierten Beisteuerns (vgl. Loth 1998, 1999, 2000).
Und was ist mit lösungsorientierten Interventionen der KlientInnen?
In diesem Zusammenhang fand ich dann auch die konzentriertere Lektüre
der Ergebnisse zur Bestimmung der Gütekriterien interessant, speziell
die Untersuchungen zur "Konstruktvalidität/ Faktoriellen Validität".
Durch den Faktor 1 (Problemanalyse/ Defizitorientierung) wurde mit 22,9%
die im Vergleich zu den anderen Faktoren höchste Varianz aufgeklärt.
Hier unterschieden sich die verschiedenen untersuchten Therapiesitzungen
offensichtlich am gravierendsten. In der Sprache Millers & de Shazers:
"Die Verbindungslosigkeit von problemorientierten und lösungsorientierten
Sprachspielen ist das zentrale Thema der Philosophie und Praxis der lösungsorientierten
Therapie" (1999, S.14). Faktor 2 (Zielaktualisierung :17,5%) und Faktor
3 (Konkretisierung von Lösungen: 13,6%) stärkten erwartungsgemäß
ebenfalls das Profil lösungs- und ressourcenorientierten TherapeutInnen-Verhaltens.
Über das Erfassen des Bemühens, "durch respektvolles Interesse um eine kooperativ-offene Therapeut-Klient-Beziehung" Veränderung zu ermöglichen, liessen sich nur 9% der Varianz aufklären, über allgemeine Ressourcenorientierung/ Kompetenzentwicklung sogar nur 6%. Hier bleiben Fragen offen, insbesondere wenn solche Untersuchungsergebnisse berücksichtigt werden, die das therapeutische Geschehen aus Sicht der KlientInnen reflektieren.
Mittlerweile gibt es eine Fülle von Hinweisen, die anzeigen, daß die Wahrnehmung und die Bewertung des Therapiegeschehens durch die KlientInnen präzisere Vorhersagen zum Gelingen von Therapie/ Beratung erlauben als die Einschätzungen aus TherapeutInnen-Sicht. Hubble et al. fassen die Ergebnisse ihres voluminösen Readers The Heart and Soul of Change. What works in Therapy? so zusammen: "Worauf es, wie uns die Daten zeigen, ankommt, sind die KlientInnen: die Ressourcen der KlientInnen, ihre Teilnahme, ihre Einschätzung der Allianz, ihre Wahrnehmung des Problems und seiner Lösung. Unsere Techniken, so stellt sich heraus, sind nur dann hilfreich, wenn die KlientInnen sie als bedeutsam und glaubwürdig ansehen. Therapiemodelle sind ausschließlich potentiell hilfreiche "Linsen", die dann miteinander geteilt werden, wenn sie zu dem ‚Bedeutungsrahmen‘ der KlientInnen passen und zu ihrer eigenen ‚Verordnung‘" (1999, S.433, Übers. W.L.).
Ist es das, was als sozusagen enigmatische Botschaft mitschwingt, als unausgesprochenes Zentrum, wenn die AutorInnen des RLI gelegentlich ein "altes" Leitmotiv aus selbstorganisationstheoretischen Überlegungen zur Sprache bringen: "Minimale Interventionen können unter bestimmten Systembedingungen zu großen, in kurzer Zeit sich selbst verstärkenden und stabilisierenden Veränderungen führen." (S.17). "Unter Umständen", das wird so leicht überlesen, "unter Umständen", der berühmte Flügelschlag des Schmetterlings, der "unter Umständen" ...... unter Umständen des Wahrgenommenwerdens, Ernst-genommen-werdens, des Entgegenbringens von Vertrauen, also unter Umständen glückender Interaktion etwas hervorbringt, was als Ergebnis einer Intervention so nicht hätte entstehen können. Schönen Gruß an die Emergenz!
Meine Einschätzung
Dies wäre also ein Hinweis zur Vorsicht beim Gebrauch des Inventars:
Das Er-Raten von charakteristischen Verläufen lösungs- und ressourcenorientierten
TherapeutInnen-Verhaltens ist nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit
Therapien, die von KlientInnen als solche eingeschätzt wurden. Es
wäre m.E. ein grober Fehler, die Ergebnisse des RLI-Ratings als Erfolgsmessung
zu verwenden. Dies, es sei unterstrichen, ist an keiner Stelle als Absicht
der AutorInnen zu erkennen (und ist offensichtlich doch der Rede wert:
Die Nachfrage nach Techniktraining in Lösungsorientierter Therapie
ist erheblich, entsprechende How-to-Literatur verkauft sich wie von selbst!).
Es wäre geradezu tragisch, wenn das vorliegende Instrumentarium als
Mittel benutzt würde, die lösungsorientierte Idealline zu trainieren,
das respektvolle Konzentrieren auf Fähigkeiten und Ressourcen der
KlientInnen zu einer Ressourcen- und Lösungsattitüde zu manualisieren
und womöglich "Abweichler" (Dissidenten, Häretiker, Störenfriede)
auszugrenzen.
Trotz (oder wegen?) dieser Einschränkung möchte ich das vorgestellte Inventar nachhaltig als Reflexionshilfe empfehlen. Auf der Grundlage, das Therapeutendilemma zu akzeptieren und den Standard des eigenen Beisteuerns stets als frag-würdig zu betrachten, ist das RLI meines Erachtens hervorragend geeignet, eigene lösungs- und ressourcenorientierte Absichten, bzw. deren Umsetzung zu reflektieren. Die vorgestellten Items, Heuristiken und Faktoren machen Sinn. Sie operationalisieren das, was mit lösungs- und ressourcenorientiertem Vorgehen gemeint ist, sehr gut. Die Anwendung des Inventars kann in besonderem Maße helfen, das eigene Beisteuern zum Geschehen zu reflektieren und zu überprüfen. Es geht dann nicht mehr nur um das möglichst präzise Beherrschen von Vokabeln und Grammatik, sondern in erster Linie um die Sensibilität dafür, sich beim anderen lösungs- und ressourcenorientiert verständlich zu machen.
Literatur:
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Hubble, M.A.; , B. L. Duncan & S. D. Miller [Hrsg.] 1999a: The Heart and Soul of Change. What Works in Therapy? Washington, DC: American Psychological Association,
Hubble, M.A.; , B. L. Duncan & S. D. Miller [Hrsg.] 1999b: Directing Attention to What Works. In: Hubble, M.A.; , B. L. Duncan & S. D. Miller [Hrsg.], pp. 407-447.
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Ludewig, K. 1998. Problem - Bindeglied klinischer Systeme. Grundzüge eines systemischen Verständnisses psychosozialer und klinischer Probleme. In: Reiter, L., E.J. Brunner & S. Reiter-Theil (Hg.) Von der Familientherapie zur systemischen Perspektive. Berlin: Springer, pp. 231-249.
Ludewig, K. 1992. Systemische Therapie. Stuttgart: Klett-Cotta.
Miller, G. & S. de Shazer 1999. Lösungsorientierte Therapie als Gerücht. In: Familiendynamik 24(1), pp.4-28.
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