Publikation in: Systhema 19(1), 2005, pp.93-94

Arnold Retzer 2004. Systemische Paartherapie. Konzepte – Methode – Praxis.
Stuttgart: Klett-Cotta, 355 S.

Da entsteht beim Lesen dieses Buches kein Zweifel: Arnold Retzer ist ein Paartherapeut von hohen Graden, inspiriert und inspirierend, gewaschen mit allen Wassern paarthematischer Quellen, bewandert in so gut wie allen Phänomenbereichen, die das Thema "Paarbeziehung" zu erfassen versuchen. Da gibt es Grundsätzliches zu lesen über Liebesbeziehung und Partnerschaft und deren unterschiedliche Codes, über unterschiedliche Phasen, Perspektiven, Anliegen und Handwerkszeug. Ein zentraler Begriff ist der der Neutralität. Ihr unterliegt auch das Vorgehen selbst: "Indem der Paartherapeut selbst Paartherapie für fragwürdig hält, eröffnet er dem Paar die Möglichkeit, eine eigene Position zu entwickeln. Dies kann von ganz entscheidender Bedeutung für die Paartherapie sein. Zumindest kann es für entscheidende Voraussetzungen für eine effektive Paartherapie sorgen, dass nämlich Klienten mehr von ihrem Therapeuten wollen als der Therapeut von ihnen" (S.110).

Die Kurzeinschätzung dieses Buches kann im Grunde kaum anders lauten als: dieses Buch ist ein Gewinn für alle, die sich als PaartherapeutIn betätigen. Der Autor wirkt souverän, erfahren, klar, schöpft aus einem immensen Fundus an Wissen, bietet Anleitung, zeigt Humor, und nicht zuletzt: er zaubert eine große Bühne, ohne dass die Aufführung erschlägt. Kurzum: ein empfehlenswertes Buch.

Warum noch weitere Worte? Das Buch handelt von systemischer Paartherapie. Und hier gibt es für mich Grund zur Irritation. Zwar verheißt der Untertitel des Buches nichts anderes: Konzepte, Methode und Praxis. Aber es dürfte erst bei genauerem Hinsehen auffallen, dass zwar Konzepte im Plural auftauchen, Methode jedoch im Singular. Bei Konzepten beruft sich Retzer zwar auf "neuere systemtheoretische Konzepte", was jedoch nur in Bezug auf Luhmanns Funktionsunterscheidungen und seinen differenztheoretischen Ansatz bei der Unterscheidung von Liebe und Partnerschaft zum Tragen kommt. Andere Konzepte (Selbstorganisation, personzentrierte Systemtheorie) kommen nicht vor. Das Vorgehen ist zwar – gerade durch die ausführlichen, kommentierten Transskripte - wirklich sehr spannend und nachvollziehbar belegt, erweist sich jedoch weniger als eine "neuere" systemische Variante, sondern als solides "Mailänder" Vorgehen, allerdings (s.o.) mit unverkennbar Retzerscher Prägung. Es ist die Person (hier also Retzer), die durch ihre Präsentation überzeugt. Dass der Autor sich nach Kräften bemüht, das Ganze nicht beim persönlichen Nimbus zu belassen, sondern lehr- und lernbar zu machen, ist zwar gut (und gut gemacht) und sollte von einem ernstzunehmenden Buch auch erwartet werden können. Ich muss jedoch gestehen, dass mich das Buch immer dann gepackt und voran gebracht hat, wenn mir das Adjektiv "systemisch" nebensächlich erschien und der Autor einfach als lebenskluger Mensch seine Position und seine Gedanken dazu vermittelt. Etwa so (S.80): "Zum Heiraten sollte es vielleicht nur einen plausiblen Grund geben: Man sollte nicht anders können als zu heiraten, um dann miteinander zu leben, um in der Einsamkeit, die uns umgibt, jemanden zu haben, der uns nicht eintauschen will, der bereit ist, die Berechtigung unserer Existenz mit all unseren Fehlern und Mängel zu bestätigen. Der sagt: Ich gebe Dich nicht her! // Wie unvergleichlich bedeutsam ist dieser Satz gegenüber dem unbedeutenden Glück." Ja.

Wolfgang Loth (kopiloth@t-online.de)