Kurt Ludewig (2005): Einführung in die theoretischen Grundlagen der systemischen Therapie. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme, 127 S.
Carl-Auer möchte "Wissen auf den Punkt bringen" und unternimmt dies in Form von "Einführungen" in verschiedene Verfahren und Tätigkeitsbereiche. Nun also systemische Therapie, und man könnte befürchten, dass sich diese "auf den Punkt gebracht" in einer säuberlich geordneten Schublade wieder findet. Die Lektüre dieses Bändchens belehrt eines Besseren und gibt zu Hoffnung Anlass, und dies wie mir scheint aus anderen Gründen als marktgängigen. Und wer sich den Titel des Buches noch einmal genauer ansieht: Es geht nicht um eine Einführung in die systemische Therapie, sondern um eine Einführung in deren theoretische Grundlagen. Kurzum, Kurt Ludewig ist das Kunststück gelungen, Grundgedanken, Grundzüge und Klinische Theorie systemischer Therapie nachvollziehbar zusammenzufassen, ohne das Projekt zu trivialisieren oder zu banalisieren. Zwar erleichtern die vielen tabellarischen Zusammenfassungen das Lesen, dennoch handelt es sich hier um die Einladung, einem anspruchsvollen Unternehmen angemessen bewusste Aufmerksamkeit zu widmen. Eigentlich kein Wunder: "Schließlich lässt sich vor dem Hintergrund systemischen Denkens keine andere Ethik vertreten als eine der persönlichen Verantwortung" (S.107).
Ich gehe davon aus, dass es hier nicht nötig ist, Ludewigs inhaltliche Positionen zur systemischen Therapie in größerem Umfang auszuführen. Seine bisherigen Arbeiten sind zum Teil Klassiker im Feld und finden sich hier in gestraffter Form wieder. Dennoch empfiehlt sich die Lektüre auch für LeserInnen, die mit Ludewigs Arbeiten vertraut sind. Es ist eben nicht nur der Inhalt, sondern auch die immer wieder zu Tage tretende Fülle der persönlichen Erfahrung Ludewigs im Feld, die das Ganze zu einer unverwechselbaren Mischung zusammenfügt. Ich denke, dass dies dafür entschädigt, dass es stellenweise schon wirklich bewusst aufmerksames Lesen braucht, um in den Zumutungen mancher theoretischer Erwägungen die spannende Anregung zu erfassen, "mit Komplexität möglichst wenig reduktionistisch umzugehen" (S.7). Auch wenn dies gelegentlich bedeuten kann, sich nicht abschrecken zu lassen, etwa wenn es zu Anfang nicht einfach um "Voraussetzungen", sondern um "Denkvoraussetzungen systemischen Denkens" geht. Was zunächst wie eine Sprachschikane wirken mag, macht dennoch Sinn: "Denkvoraussetzungen" verweisen mit ihrer Beobachtergebundenheit auf etwas anderes als womöglich kontextfrei angesehene "Voraussetzungen". Auf solche Unterscheidungen kommt es an im Verständigen darüber, was "systemische Therapie" meinen könnte. Es lohnt sich, dem nachzuspüren und Ludewigs weiterführender Auseinandersetzung mit Maturana und Luhmann zu folgen. Wenn es in späteren Kapiteln darum geht, den spirit systemischer Therapie zu erfassen, ihr – wenn mir erlaubt sei, das so zu sagen – im besten Sinne aufrührerisches Potenzial zu begreifen, dann könnte sich der Einsatz schon gelohnt haben, den die Auseinandersetzung mit den "Denkvoraussetzungen" wenn nicht einfordert, so doch ziemlich nahe legt.
Ludewig kennzeichnet systemische Therapie und auch im weiteren Sinn systemische Praxis "als Dialog. Sie findet als kommunikatives, Sinn stiftendes Geschehen statt und nicht als gezielte Reparatur oder Korrektur einer mehr oder minder verdinglichten Struktur" (S. 96). Dies hat zur Folge, dass "An die Stelle eines gezielten Einwirkens auf das Erleben und Verhalten von Klienten […] hier eine Perspektive [tritt], die das Handeln des Therapeuten auf die Herstellung günstiger Randbedingungen für Veränderung ausrichtet" (S. 103). Praktisch läuft das darauf hinaus, dass "im systemischen Verständnis von Therapie […] ein Auftrag nicht auf eine einseitige Handlung hin [deutet], sondern auf das Ergebnis einer kommunikativ verhandelten Vereinbarung, die zudem im weiteren Prozess veränderlich ist" (S. 80). Woraus folgt: "Während das Anliegen die Form hat: "Helfen Sie mir/uns, damit …", hat der Auftrag die Form: "Unser gemeinsames Ziel ist …"" (S. 82). Dass eine solche Perspektive zwar in weitest gehender Weise mit Ergebnissen und Überlegungen der neueren patientenfokussierten Forschung zusammen passt, dürfte ebenso klar sein wie die minimale Übereinstimmung mit der zur Zeit gängigen lobbyistischen Psychotherapiepolitik. Das Ludewig das Potenzial systemischen Denkens und daraus abgeleiteter Hilfevorstellungen in diesem Kontext nicht verwässert, macht für mich einen Teil der Hoffnung aus, die ich oben ansprach. Ludewigs Argumentation ist sowohl durchdacht, begründet als auch kraftvoll. Deutlich wird, dass in systemischer Therapie mehr steckt als ein weiteres Verfahren zum Ausfüllen eines ökonomistisch erstarrten Gesundheitswesens. Systemische Praxis, so will mir scheinen, kann Alternativen bieten. Aber umsonst, auch das wird deutlich, ist sie nicht zu haben. Ich möchte diesem Buch wünschen, dass es zum ständigen Begleiter systemisch orientierter Kolleginnen und Kollegen wird.
Wolfgang Loth (kopiloth@t-online.de)