Publikation in: Systhema 20(1), 2006, pp. 102-103

Konrad Peter Grossmann (2005): Die Selbstwirksamkeit von Klienten. Ein Wirkverständnis systemischer Therapien. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag, 425 S.,

Grossmann legt mit dieser Arbeit einen umfassenden und detaillierten Überblick über ein zentrales Konstrukt Systemischer Therapie vor. "Wirken im Kontext systemischer Therapie [...] gründet in der Selbstwirksamkeit von KlientInnen" (S.17), so die Grundannahme. Die damit zusammenhängenden Untiefen und Herausforderungen therapeutischen Handelns – von Ludewig mit dem Therapeutendilemma prägnant auf den Punkt gebracht – diskutiert Grossmann in voller Breite. Er gibt nicht nur einen Überblick über die Entwicklungsgeschichte familientherapeutischer und systemischer Konzepte, deren Wirkannahmen und Vorgehensweisen, sondern auch einen Überblick über zentrale epistemologische Prämissen, die aktuelle Forschungslage zur Bedeutung von KlientInnenvariablen (inklusive forschungsmethodischer Details) und die Selbstüberprüfung der erschlossenen Leitlinien am Beispiel einer vom Autor durchgeführten Paartherapie. "Vom Autor durchgeführt" ist natürlich in der Diktion des vorliegenden Buches unzutreffend, genauer sollte es heißen, einer vom Autor begleiteten und in den Rahmenbedingungen von ihm vorbereiteten und betreuten Paartherapie. Hier ist Grossmann sehr klar: Aufgabe von TherapeutInnen sei es, "ein aufmerksamer Zeuge/ eine aufmerksame Zeugin im Gespräch mit den KlientInnen zu sein" (S. 363). "Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Präsenz von TherapeutInnen für (die) Aktualisierung von Selbstwirksamkeit seitens KlientInnen, ist ihre Aufmerksamkeit für jene meist kleinräumigen Problem-Lösungs-Übergänge, welche KlientInnen/Klientensysteme in ihrem Erzählen und Tun im Kontext von Therapiedialogen autonom vollziehen" (S.400). Und schließlich: "TherapeutInnen können in Bezug auf ihre KlientInnen nichts bewirken. Sie können allerdings so handeln, dass KlientInnen im Kontext von Therapie eine Situation vorfinden, innerhalb welcher sie in bezug auf eigene bio-psycho-soziale Muster intervenieren können" (S. 405).

In seinen theoretischen Überlegungen zu therapeutischen Wirkbedingungen und Wirkprozessen setzt Grossmann zwei Vierfelderschemen zusammen, jeweils gebildet durch zwei Dimensionen. Im Fall von Wirkbedingungen kennzeichnen sich die beiden Dimensionen durch die Unterscheidungen inhaltlich/ relational und stabilisierend/ labilisierend . Für die Wirkprozesse gelten die Unterscheidungen Problem/ Lösung und assoziativ/ dissoziativ . Das ist durchaus plausibel, wird vom Autor auch nachhaltig zur Beschreibung verwendet, bleibt für mein Empfinden dennoch etwas spröde. Grossmanns Arbeit überzeugt für mich auch eher durch ihre akademische Seriosität als durch lebendige Erzählung, aller narrativ getönten Selbstbeschreibung zum Trotz. Der Lesefluss stockte mir des öfteren. Ich stelle mir jedoch vor, dass die Lektüre für LeserInnen, die sich in die Thematik einarbeiten wollen, nützlich und hilfreich ist. Für LeserInnen, die die Diskussion zur Nicht-Trivialität lebendiger Prozesse und zur Bedeutsamkeit von KlientInnenvariablen verfolgt haben, wird vieles redundant wirken. Etwas schade fand ich die mir doch etwas konventionell erscheinende Position zu Auftragsklärung und therapeutischem Kontrakt. Hier ließen sich m.E. deutlichere Akzente setzen, die das gemeinsame Beisteuern betreffen.

Zusammengefasst argumentiert Grossmann konsequent aus einer Position des Nicht-Wissens, konsequent auf der Suche nach Möglichkeiten konstruktiven Mitwirkens in hilfreichen narrativen Prozessen. Die dabei unvermeidlichen Gratwanderungen – sowohl im Handeln wie auch in der sprachlichen Darstellung – meistert der Autor mit beeindruckend umfassender Sachkenntnis und einer glaubwürdig respektvollen Haltung. Es dürfte für die künftige Positionierung Systemischer Therapie hilfreich sein, dass die Grundlagen ihres zentralen Konstrukts Selbstwirksamkeit nun in dieser umfassenden Form vorliegen.

Wolfgang Loth (kopiloth@t-online.de)