Julie Schwartz Gottman (Hg.) 2004.
The Marriage Clinic Casebook.
New York, London: W.W.Norton, 237
S.
In der Literatur zur Erforschung von Paarbeziehungen taucht John Gottman seit den 1970er Jahren immer wieder mit innovativen und ambitionierten Arbeiten auf. Zusammen mit einer Reihe von KollegInnen trug er Wesentliches zum Entwickeln eines interaktiven, systemorientierten Verständnisses von Paarbeziehungen bei. Für PaartherapeutInnen hat es sich als ein glücklicher Umstand erwiesen, dass Gottman mit Julie Schwartz Gottman eine kongeniale Praktikerin als Ehepartnerin gefunden hat, mit der zusammen er einen paartherapeutischen Ansatz entwickelte, der klinische Forschung und klinische Praxis zusammen brachte. Ein Unternehmen, so Gottman in seinem Vorwort, das "gegenseitigen Respekt und das gegenseitige Akzeptieren von Einfluss erforderte". Ich finde es sympathisch, dass Gottman den aus Marketinggründen gewählten Namen des Ansatzes – "Gottman Method Couples Therapy" (GMCT) –mit einem gewissen Unbehagen betrachtet angesichts "des Ego-Ausmaßes, das man dabei vermuten könnte". Es dürfte dem Konzept vielleicht auch bekommen sein, dass der Ausgangspunkt der Idee während einer gemeinsamen Kanufahrt im Urlaub entstand – jedenfalls gemäß der Legende, die Juli Schwartz Gottmann in ihrer Einführung und Überblick über die Methode berichtet.
Paare, die ihre Beziehung erfolgreich voranbringen, finden sich in der Regel mit drei Aufgaben zurecht: sie untermauern ihre romantischen Empfindungen mit den Wesensmerkmalen von Freundschaft, sie bewältigen ihre Konflikte gut, und es gelingt ihnen, einen gemeinsamen Sinn für die Bedeutung zu entwickeln, die ihrer beider Leben zusammenfügt. Darauf bezogen umfasst die GMCT sieben Interventionsebenen, beginnend an der Basis: "Love maps" sollen entwickelt werden, das Verständnis der inneren Welt des Partners/der Partnerin. Es soll wieder möglich werden, stolz aufeinander zu sein und den anderen in gutem Licht zu sehen. Es soll wieder mehr möglich werden, sich einander zuzuwenden und sich angesprochen zu fühlen, sowie diese Zuwendungs-Einladungen anzunehmen. Positive Gefühle sollen wieder die Eindrücke voneinander rahmen, mit dem Effekt, im Zweifelsfall zunächst die angenehmere Variante anzunehmen. Desweiteren: lösbare Probleme handhaben zu können (In diesem Zusammenhang erscheint mir Gottmans Mitteilung bemerkenswert, nur 31% der Paarprobleme seien lösbar, der Rest sei überdauernd und habe mit Lebensstil- und Persönlichkeitsdifferenzen zu tun, "vergitterte Probleme"). Beim Umgang mit lösbaren Probleme soll helfen, wieder auf die Spur zu kommen, wenn man den grünen Bereich verlassen hat. Besonders wichtig: die Fähigkeit, sich physiologisch selbst wieder herunterkochen zu können. Ebenfalls: zu akzeptieren, dass der/die andere Einfluss nimmt, und Kompromisse schließen zu können. Bei den "vergitterten Problemen" wird die Methode eingesetzt, "den Traum im (hinter dem) Konflikt" hervorzulocken. Die siebente Ebene schließlich besteht in der Unterstützung dabei, den gemeinsamen Sinn zu stärken für das Besondere des jeweiligen Paarseins.
Was hier in Kürze referiert ist, wird in einem guten Dutzend Beiträgen sehr deatilliert, lebendig und lebensnah berichtet. KollegInnen der Gottman Marriage Cilinic haben zu thematisch unterschiedlich akzentuierten Fällen ihre Sicht der Anwendung der GMCT beschrieben. Unter anderem kommt zur Sprache wie die Methode TherapeutInnen dabei helfen kann, ihr inneres Gleichgewicht zu wahren. Es gibt Beiträge zur Arbeit mit einem Paar, das eine außereheliche Affäre bewältigen möchte, mit einem Paar, das mit Depression zu tun hat, mit einer Stieffamilie, mit einem Paar, dem sexuelle Probleme zu schaffen machen oder einem Paar, das sich –um Erziehungsstile und –ziele streitet (um nur einige zu nennen). Durchgängig war mein Eindruck, dass es sich hier nicht um vollmundige Propaganda für eine Handelsware handelte, soondern um die Reflexionen von KollegInnen, die im Ernstfall Praxis offensichtlich deutlich von GMCT profitierten. Bei aller Unterschiedlichkeit der Temperamente dominiert der Eindruck von Respekt für die KlientInnen. Ein abschließendes Kapitel diskutiert Kriterien der Erforschung des Ansatzes und illustriert dies am Beispiel der Katamnese mit einem Paar.
Wolfgang Loth (kopiloth@t-online.de)